Cassius Dio - Der letzte Zeuge

Die Varusschlacht fand ihr bitteres Ende in Kalkriese am Wiehengebirge. Wie aber kam Varus genau dorthin? Rund 80 km Luftlinie von der strategisch entscheidenden Rhein-Lippe-Elbe Achse entfernt, eine Stelle die man vor Mommsen 1885 nie vermutet hätte und auch danach jederzeit bezweifelte.

So viele Theorien wie über den Ort der Varusschlacht existieren, soviel und noch mehr Rätselraten gibt es über den Marschweg der Varuslegionen. Wie bei jeder historisch annehmbaren Theorie ist die Entscheidung über die Richtigkeit der einen oder anderen Variante nur durch archäologische Funde und Befunde möglich. Entscheidend ist daher die erfolgreiche Auffindung des ersten und zweiten Marschlagers, u.a. nach der einzig erhalten gebliebenen

Hier die Beschreibung des Verlaufs der viertägigen Schlacht, nach Cassius Dio:

Das erste Marschlager nach Beginn der Schlacht war nach dieser Beschreibung noch regulär angelegt und musste den Grossteil des Varuszuges fassen können. Zudem wurde dort der grösste Teil des hinderlichen Trosses verbrannt. Danach sollte es sehr gross sein, denn ein reguläres Lager für drei Legionen mit Anhang benötigt etwa einen halben Quadratkilometer und zudem muss es durch einen ungewöhnlichen Brandhorizont und Trümmer gekennzeichnet sein. Eigentlich archäologisch kaum übersehbar.

Wie kann man nun dieses Lager finden? Mit Kalkriese ist der Endpunkt der Schlacht bekannt, wo aber begann sie? Kennt man den Anfangspunkt, so ergeben sich die mutmasslichen Positionen der notwendigen Marschlager aus einfacher Kalkulation: Nach Dio dauerte das Schlachtgeschehen 4 Tage und 3 Nächte, ergo müssten die Positionen der Nachtlager etwa nach je einem Viertel der Marschstrecke liegen.

Wo der Beginn der Schlacht lag, dazu gibt es zwei Such-Strategien: Erstens kann man die sporadischen Münzfunde varianischer Zeit im Weserbergland betrachten, um daraus die Bewegungsmuster der Okkupationszeit zu erschliessen. Zweitens haben wir den bemerkenswerten Nikulasverweis, der auf den Schlachtbeginn in der Nähe von Bad Salzuflen verweist (Gnitaheide->Knetterheide->Werler Feld). Dies deckt sich auch mit einigen passenden Münzfunden in diesem Bereich.

Hr. Bökemeier hat u.a. in "Römer an Lippe und Weser, 2004" diese Informationen zum Anlass für seine Konstruktion der Varusschlacht in der Gegend südlich Detmold genommen. Aufgrund der bei weitem grösseren Fundhäufungen im Kalkrieser Raum ist das sicherlich ein Fehlschluss, aber nur ein halber, gewesen. Sicherlich hatte Bökemeier Recht mit der Annahme, das Teile des Schlachtgeschehens südlich Detmold stattfanden, denn auch dort gibt es eine auffällige Häufung verdächtiger Funde. Weit weniger zwar als in Kalkriese und zudem grösstenteils verschollen, aber dennoch nicht einfach von der Hand zu weisen. Auch die von ihm aufgezeigte Fundhäufung in Lügde/Bad Pyrmont ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Bökemeier hielt diese Stelle für das gesuchte Sommerlager, jedoch dürfte es sich nach meiner Meinung eher um eines der notwenigen Marschlager auf dem Normalweg nach Osten gehandelt haben.

Nun, die Entfernung Werler Feld nach Kalkriese ist Luftlinie 56 Km, d.h. in vier Tagen wurden durchschnittlich 56/4 = 14 km Luftlinie marschiert. Das ist ein absolut nachvollziehbarer, eher schon geringer, Wert. Nun ziehe man eine Kreis von 15 Km ums Werler Feld und einen von 45 Km um Kalkriese. In oder nahe an der Schnittfläche muss dann das gesuchte Erste Marschlager nach Dio liegen. Wenn man sich dann erstmal ausrechnen kann, wo es liegen sollte, dann findet man den Kandidaten sehr schnell mit Hilfe des Geoinformationssystems Googleearth.

Zur Suchstrategie: Der grüne Weg ist die Normalroute, sie durchschneidet auf dem kürzesten gangbaren Weg das taktisch ungünstige Weserbergland, und verbindet Anreppen und Hildesheim. Auf dem Rückweg (rotviolette Pfeile) wird der Zug des Varus in die tiefste Senke des Weserberglandes bei Bad Salzuflen gelockt. Eigentlich ein kleiner Umweg, aber fatal für die Römer. Die Taktik des Arminius besteht nun darin, den Zug sukzessive nach Norden, über das Wiehengebirge, in die vorbereitete Falle am Kalkrieser Engpass abzudrängen.Die beim ersten Angriff abgeschnittene Nachhut versucht aber nach Süden Richtung Lipperoute zu entkommen.Der kleine blaue Kreis ist ein 15 Km Kreis ums Werler Feld, der große blaue Kreisabschnitt einer von 45 km um Kalkriese. Im Schnittbereich (kleiner hellblauer Kringel) muss ergo das mutmassliche Erste Marschlager liegen. Es ist nach optischer Absuche durch passende Bodenmerkmale und Topographie in Hiddenhausen findbar.

Kaum vorstellbar auch, das so ein Lager archäologisch bis heute nicht durch ein paar Zufallsfunde aufgefallen wäre. Tatsächlich ist es seit den 1930er Jahren bereits archäologisch in Erscheinung getreten. Entdeckt wurden dort drei Fundkomplexe: (a) eine germanische Siedlung, südlich vorgelagert, die ab dem 1. Jhd. belegt war, (b) ein grösseres Brandgräberfeld, das aufgrund der mittlerweile durch Landwirtschaft fortgeschrittenen Zerstörung schwer datierbar ist, jedenfalls kaiserzeitlich (c) eine grosse Menge zerstörter Keramik der frühen Kaiserzeit auf dem ganzen Areal.

Bislang wurde und wird es, wegen der vor gelagerten Siedlung, naturgemäss im germanischen Kontext gesehen. Nicht anders war es im Falle Hedemünden: Auch dieses römische Lagerareal galt lange als germanische Hünenburg und war so auch in den amtlichen Karten verzeichnet. Tatsächlich konnten dort aber, nachdem Raubgräber mit römischen Artefakten aufgefallen waren, inzwischen fünf römische Feldlager nachgewiesen werden.

Allerdings ist erst auf neueren Luftaufnahmen des Pudels Kern erkennbar geworden, denn das eigentliche ausgedehnte Areal befindet sich nordöstlich dieser Funde des letzten Jahrhunderts. Die damals vermuteten Fundzusammenhänge sind nunmehr überdenkenswert geworden.

In der logischen Fortführung des Marschweges ergibt sich übrigens auch erkennbar das Lager II, das ebenfalls bereits durch einen Münzfund im 19. Jhd. auffällig wurde. Es liegt in weiteren rund 15 km Entfernung in Richtung auf Kalkriese.

Für das vermutliche Lagerareal bei Herford wurde mir vom Kreis Herford eine Suchgenehmigung erteilt. In den nächsten Jahren werde ich den Versuch des archäologischen Nachweises des Ersten Marschlagers unternehmen. Zur Zeit laufen einige viel versprechende Prospektionen in dieser Angelegenheit, zu denen ich an dieser Stelle in Zukunft einige Informationen bereitstellen werde.

Diese Prospektion wird aber noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Der Grund dafür ist, dass es sich an dieser Stelle nicht um eine so genannte Notgrabung handelt. Daher ist das LWL hier nicht zum Handeln gezwungen und es fliessen daher auch keinerlei öffentliche Gelder oder Drittmittel in diese Prospektion. Die Finanzierung liegt somit alleine bei mir als Privatperson. Gegen archäologisch interessierte Sponsoren und/oder weitere qualifizierte Mitarbeiter hätte ich also ggf. nichts einzuwenden. Ein weiteres Problem ist auch die landwirtschaftliche Nutzung des Geländes. Nur in den relativ kurzen Zeiten, in denen die Felder im Umbruch sind, ist eine Begehung im Einverständnis dort möglich. Diese Zeitfenster sind leider sehr klein.

Das Prospektionsgebiet (ARGOS Luftbild D. Kupfernagel). Rechts unten/mitte erkennt man die Reste der östlichen Wallgrabenanlage, etwa 600 m östlich der Ausgrabungen des letzten Jahrhunderts.