Der Varuszug

Zur Länge des Varuszuges

Über die Länge des Varuszuges wurde schon immer gerätselt. Von manchen Autoren werden absurd geringe Zuglängen angenommen. Für die Beurteilung ist aber eine angemessene Schätzung von entscheidender Bedeutung, da es für die taktischen und strategischen Notwendigkeiten und Misslichkeiten von enormer Bedeutung ist:

Angenommene die verfügbare Strassenbreite beträgt an den engsten Stellen ca. 5 bis 6 m, dann ergibt über den Daumen gepeilt:

  • ca. 30.000 Leute, Zivilisten und Legionäre, jeweils 4 nebeneinander,
  • Abstand mindestens 2 Schrittlängen, also mimimum 1,6 m, ergibt 12 km.
  • 1000 Wagen, Wagenlänge plus Deichsel plus Zugtierplus plus Führer
  • mindestens 10 m, ergibt weitere 10 km.
  • 1000 Reiter, jedes Pferd braucht wenigstens 10 m Platz (Eigenlänge plus Schrittweiten), zwei nebeneinander, ergibt 5 km.

Die Summe ist: minimal 27 km.

Das ist ungefähr die Startaufstellung, so kann man aber nicht laufen, da sich die Leute gegenseitig in die Hacken oder Hufe treten. Um Staus sicher zu vermeiden, dürfte mindestens eine Verdopplung der Abstände notwendig sein, dass ergibt dann erstaunliche 52 Kilometer Marschlänge, also fast zwei Tagesmärsche eines Einzelnen!

30 km sind somit eine untere Grenze für die Marschformation. Man muss sich aber dann schon sehr gut organisieren, z.B. die Reiter seitlich herausnehmen, sauberer Gleichschritt der Beteiligten halten oder eine Aufteilung in auffeinander/nebeneinander folgende Abschnitte vornehmen und ähnliches. Falls der Zug vielleicht nur 20.000 Menschen umfasste (aber: 3 Legionen=15.000 bis 18.000, die Auxilliaren nochmal 5000, Zivilisten 10.000 ergibt etwa 30.000 bis 33.000 maximal) so ändert das am Dilemma wenig: Es bleiben jedenfalls dutzende Kilometer!

Nachteil oder Vorteil?

Die sicherlich enorme Eigenlänge des Zuges von ein bis zwei Marschtagen wird gerne für die nicht weiter belegte Behauptung herangezogen, dass der Zug kaum von der Stelle kam, insbesondere bei Schlechtwetter.

Das kann man aber nicht so einfach annehmen. Denn eine solche Ausdehnung hat auch Vorteile. So kann die Vorbereitung der Wegstrecke durch Pioniere stattfinden, die bei Erschöpfung auch leicht ausgetauscht werden können. Die Hauptmacht des Zuges braucht sich dann nicht mehr mit solchen zeitraubenden Arbeiten zu beschäftigen. Ganz anders aber bei einer auf sich allein gestellten Centurie: Die Legionäre sind dann praktisch alle mit solchen hinderlichen Arbeiten beschäftigt und deswegen langsamer. Zumindest bei halbwegs trockenen Verhältnissen ist auch der Weg für die hinteren Teile des Zuges leichter zu bewältigen: denn der enorme Zug führt auch zu einer Verdichtung und Verbreiterung der vorhandenen Wege.

Ein weiterer wesentlicher Vorteil: Über die gesamte Zuglänge verliert der Einzelne nie den Schutz der Gemeinschaft. Dadurch lassen sich längere Tagesmärsche organisieren, weil man sich nicht ständig in neu angelegte Marschlager sichern muss; die Abstände zwischen den Marschlagern lassen sich vergrössern. Zudem kommt hinzu, dass schwächere Mitglieder des Zuges immer die Möglichkeit haben, sich recht weit zurückfallen zu lassen, ohne dabei in gefährliche Vereinzelung zu geraten. Auch besteht die Chance auf Mitnahme Gehunfähiger auf den vielen Wagen.

Alles in allem kann jedenfalls nicht von einer grundsätzlich verminderten Marschleistung eines grossen Zuges gegenüber einem kleinen Zug ausgegangen werden!

Einen entscheidenden Nachteil jedenfalls hat eine solchermassen auseinander gezogene Formation: Sie ist durch einen seitlichen Angriff leicht in zwei oder mehrere Teile zu spalten. Dazu reichen dann auch ansonsten weit unterlegene Truppen, da man es nur mit den in der Nähe des Angriffspunktes stehenden Legionäre, nur eventuell verstärkt von der beweglicheren Reiterei, zu tun bekommt.

Ein weiterer Nachteil ist uns überliefert: Nach dem Einsetzen heftiger Unwetter versank der Zug zunehmend im Schlamm. Fraglich ist aber ob bei dieser Beschreibung durch römische Historiographen nicht der germanische Topos des barbarischen unwegsamen Landes im Vordergrund stand. Auch an anderen Stellen, etwa bei der Flottenkatastrophe des Germanicus in 16, wurden die Unbill der Natur als gelegentliche Ausrede für militärisches Versagen gerne herangezogen.