Nikulasverweis

Der isländische Mönch Nikulas Bergsson machte eine Pilgerreise von Island über Rom ins heilige Land, die in den Jahren 1151 bis 1154 stattfand. Unterwegs schrieb er einen Reisebericht, den er an verschiedenen Stellen mit Anmerkungen zu Sagengestalten aus der nordischen Mythologie anreicherte. Erhalten hat sich eine spätere Abschrift in den Arnamagnæan Collection manuscript 194, 8yo aus dem Jahre 1387.

Den Text findet man heute in verschiedenen Abschriften und Übersetzungen, er lautete in der heute verwendeten Übersetzung ins Deutsche:

"...Bei Stade findet man den Bischofssitz in der Kirche der Hl. Mutter Gottes. Dann sind es zwei Tage bis nach Verden. Sodann eine kurze Distanz bis nach Nienburg, dann kommt Minden, wo der Bischofssitz in der Peterskirche zu finden ist. Hier ändert sich die Sprache. Dann zwei Tagreisen bis Paderborn. Hier ist der Bischofssitz in der Kirche des Hl. Liborius, wo sich auch die Reliquien des Heiligen finden. Dann sind es vier Tage bis nach Mainz. Zwischen diesen beiden Orten liegt ein Dorf namens Herus (in anderen Abschriften Horus; unklar welche hier richtig ist. Giesebrecht 1837 zitiert hier jedenfalls ursprünglich eindeutig Herus. In der Nachkriegsliteratur taucht dagegen Horus auf. In der erhaltenen Abschrift ist e und o schlecht zu unterscheiden.). Ein anderes heißt Killander und dort die Gnitaheide, wo Sigurd den Fafner getötet hat..." (Nikulas verwendet den Namen Fabni, also Vavni, die Edda Fafner oder Fafnir.)

Geschrieben hat er diesen Text als er in Paderborn rastete. Die Stelle beschreibt aber den gesamtem Weg von Stade in Norddeutschland bis Mainz am Rhein. Die Interpretation, wo die Orte Herus/Horus, Kiliander und Gnitaheide liegen ist daher etwas diffizil, da nicht klar ist, worauf sich "zwischen den beiden Orten" bezieht, nämlich zwischen Stade und Mainz oder aber zwischen Paderborn und Mainz? In den meisten Interpretation der Vergangenheit wurde letztere Annahme gemacht, was zu einer Suche der Gnitaheide südlicher bis in die Wetterau Anlass gab. Da Nikulas den Verweis aber wohl in Paderborn verfasste, ist davon auszugehen, dass er die für ihn hier so zentral erwähnenswerte Gnitaheide gerade erst gesehen hatte, somit also nordöstlich von Paderborn lag. Zudem ist wegen der erheblichen zeitlichen Abstände der Abschriften zum Original fraglich, ob sich nicht Kopierfehler eingeschlichen haben, was ein grundsätzliches Problem aller Quelleninterpretationen ist.

Mit Herus/Horus dürfte Herford gemeint sein, südlich davon dann Kiliander. Kilianderkirchen gab es zu der Zeit häufiger, so auch in Bad Salzuflen (Evangelisch-reformierte Kilianskirche, erste Kirche um 800 n. Chr., Urpfarrei und Muttergemeinde für viele Ortschaften des Umlandes ) und dort auch die Gnitaheide. Herford selbst konnte von Nikulas Bergsson praktisch nicht umgangen werden. Einerseits führten die Hauptwege auf der angegebenen Strecke sowieso via Porta Westfalica an Herford vorbei nach Paderborn und andererseits war in dieser Zeit Herford ein ganz wichtiger Wallfahrtsort.

Wikipedia: "....Bis zur Reformation war Herford („Heeresfurt") ein bedeutender Sammelpunkt der Jakobspilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Die Stadt lag verkehrsgünstig am Kreuzungspunkt der Handelsstraßen von Mainz nach Lübeck und von Hameln nach Osnabrück. ....Gegen Ende des Mittellalters waren in Herford mehr als 20 Sakrale Bauwerke verzeichnet. Die Zahl der Stifte und Klöster übertraf die der benachbarten Bischofsstädte Osnabrück, Minden und Paderborn bei weitem. In Quellen ist die Rede vom heiligen Herford; „Sancta Herfordia" und dem „Hilligen Hervede"...."

Anziehungspunkt waren damals schon mindestens zwei wichtige christliche Anknüpfungen:

Wikipedia: "...Anziehungspunkte für die Pilger waren die wundertätige Marienkirche als Ort der Herforder Vision sowie die heilige Pusinna, deren Reliquie in der Münsterkirche aufbewahrt wurde. In der Radewig, dem Rast- und Marktplatz der Fernhändler, wurde eine Kapelle errichtet, aus der die spätere Jakobikirche (Radewiger Kirche) entstand......Die für das 11. Jahrhundert dokumentierte Herforder Vision gilt als die älteste bekannte Marienerscheinung nördlich der Alpen. Der Legende nach soll am 19. Juni des Jahres 1011, dem Tag der Heiligen Gervasius, einem Schäfer die Jungfrau Maria erschienen sein. Die an der Stelle der Vision gebaute Herforder Marienkirche war im Mittelalter ein Anziehungspunkt für Pilger .....Die Heilige Pusinna ist die Schutzpatronin von Herford. Die heilige Jungfrau wurde im 5./6. Jahrhundert bei Corbie in Frankreich geboren....Ihre Gebeine wurden im Jahr 860 in das Stift Herford überführt, das dadurch erheblich an geistiger Bedeutung gewann und später den Namen St. Marien und Pusinna trug...."

Das alles konnte sich Nikulas als christlicher Pilger unmöglich entgehen lassen, er war ganz sicher in Herford gewesen, bevor er Paderborn erreichte. Die Gleichsetzung Horus/Herus=Herford, Kiliander=Bad Salzuflen, Gnitaheide=Knetterheide ist dann sehr nahe liegend.

Wichtig ist jedenfalls:

(A) es wird ganz deutlich das in der Zeit, 50 Jahre vor(!) der Verfassung des Nibelungenliedes, von den Zeitgenossen die Siegfriedsage ins Weserbergland, jedenfalls unweit des Teutoburger Waldes, verortet wurde. Nikulas kannte die ungefähre Lokalisation der Gegend aus den Erzählungen und konnte die Einheimischen danach befragen. Er verortet die Siegfriedsage in den Großraum Weserbergland, und nicht an die späteren Nibelungenstädte! Und auch nicht nach Lothringen, nach Reims oder Metz, wo der Merowinger Kleinkönig Sigibert residierte, nicht an den Rhein und nicht an die Donau, nein in seiner Zeit ist klar dass Siegfried/Sigurd in der klassischen Arminius/Varuszone seine Taten vollbrachte. Diesen Hinweis des Nikulas kann man daher als deutlichen Beleg für die Gleichung Siegfried=Arminius nehmen.

(B) Sigurd erschlug dort den Fafner/Fafnir/Fabni/Favni/Vafner/Vavni/Varus?! Der skandinavische Begriff Fafnir heißt etwa soviel wie der "Umfasser", aber auch die Ähnlichkeit zum Namen des Legaten ist vorhanden (Schmich). Auch wenn die Gleichsetzung Arminius mit Siegfried und Fafnir mit Varus nicht unmittelbar ist, sie liegt einfach auf der Hand. Nicht nur das der Drache allgemein eine mythologische Metapher für eine fast unüberwindliche große Gefahr ist, auch die Germanisierung (Skandinavien) des römischen Varus durch anfügen einer germanischen Endung ist gut möglich. Der übergroße Held der nordischen Sagenwelt, Siegfried/Sigurd hatte jedenfalls nach mittelalterlicher Überzeugung im Weserbergland den Drachen massakriert!

Anmerkung: Otto Klaus Schmich (*1931,†2008) war ein deutscher Frühgeschichts- und Sagenforscher mit Schwerpunkt Thidreksaga. Schmich erkannte in nordischen Handschriften ein erzählungsgeschichtliches Sammelsurium, das historische Elemente aus der Zeit zwischen 9 n. Chr. und 7./8. Jahrhundert vermitteln will. Er wies u.a. auf die Alliteration Fa-fner zu Va-rus im Anlaut hin. Varus wurde im lateinischen “Warus” gesprochen, im deutschen und skandinavischen mutierte es zu “Farus”.