IV - Provinz Germania

Ob Germanien je den Status einer Provinz erreichte, bleibt vorläufig umstritten. Nach dem wenig ruhmreichen Scheitern der Okkupation wollte man es in Rom nämlich nicht mehr so genau wissen. Florus 2,30,28 schreibt jedenfalls: “...Als der tapfere junge Mann [Drusus] schliesslich dort den Tod fand, verlieh ihm der Senat selbst ... wegen seiner Verdienste den Beinamen [Germanicus] nach dieser Provinz.“ Tiberius übernahm nun die Festigung dieser Eroberung. Der militärische Erfolg musste politisch und logistisch abgesichert werden.

Dazu betrieb Rom seine meist erfolgreiche Klientelpolitik: Die unterworfenen Stämme wurden mit unterschiedlichen Verträgen gebunden, üblich waren Truppengestellung, der Austausch von Geiseln, Vorteilsvergabe an die entscheidenden Fürsten und Familien, und natürlich Abstrafungen bei Abweichungen.

Zudem wurden die zentralen Routen zum Elbeknie ausgebaut: Die Wetterauroute, die von Mainz aus nach Norden oder von Koblenz aus nach Osten und dann via Kassel ins Leinetal (Hedemünden), von dort aus am Nordharz vorbei zum Elbeknie stieß; sowie die deutlich kürzere Lipperoute, von Xanten (Castra Vetera) auf und an der Lippe entlang, bis nach Anreppen beim heutigen Paderborn, von dort aus über die Passhöhe zwischen Eggegebirge und Teutoburgerwald ins Emmertal bis Hameln und via Hildesheim zum Elbeknie beim heutigen Magdeburg.

Daneben gab es noch einige Alternativrouten, z.B. die Verbindungstrecke Kassel-Warburg-Anreppen zwischen Wetterau- und Lipperoute oder auch die südliche statt nördliche Umgehung des Harzes aus dem Leinetal heraus etwa die heutige Linie Göttingen-Halle-Saale/Aken/Dessau.

Entlang dieser Haupteinfallsrouten wurden etliche Lager und Marktplätze eingerichtet, von denen bisher nur die wenigsten archäologisch erfasst werden konnten. Dies sind vor allem die Befestigungen an der Lipperoute, wie z.B. Haltern, Oberaden oder Anreppen oder auch das Lager Hedemünden am Übergang der Wetterauroute in das Leinetal oder das südlich gelegene Lager Marktbreit am Main. Und natürlich der Marktplatz im hessischen Waldgirmes, der sogar über respektable Steingebäude verfügte.

Nicht alle Standorte waren regelmässig belegt, entlang dieser Routen im mitteldeutschen Raum dürften noch viele unbekannte Marsch- und Standlager verborgen sein, da die kleineren und nur kurzzeitig belegten Lager archäologisch kaum auffällige Reste hinterlassen haben und sich nur manchmal durch kleinere Zufallsfunde offenbaren.

Der Grosse Krieg: Immensum Bellum

Man begann sich nun beiderseits auf die neue Situation einzurichten, wobei uns von etlichen kleineren Auseinandersetzungen berichtet wird. Sicherlich gab es Stämme und Familien die mehr oder weniger von den Römern profitierten und solche, die eher die Lasten der Okkupation zu spüren bekamen.

Die Interessensphären konnten auch mitten durch einen Stamm führen, so gab es pro- und antirömische Fraktionen. Zwei Stämme spielen hier eine zentrale Rolle, nämlich die Chatten und die Cherusker. Erstere sassen auf der Wetterauroute von Mainz bis Kassel, zweitere blockierten den Zugang zur Elbe ab dem Leinetal von Süden her und gleichzeitig ab dem Teutoburgerwald von Westen her auf der Lipperoute.

Für die römische Klientelpolitik waren somit vor allem die Cherusker von entscheidender Bedeutung: Kein Weg führte an ihnen vorbei! Die Cherusker wurden erstmals durch Drusus in 9 v.Chr. unterworfen und als Verbündete gewonnen. Aber die Koalition muss wackelig gewesen sein, denn in den Jahren 1-4 n.Chr. kam es zum immensum bellum, dem „gewaltigen Krieg“, ein größerer Aufstand von dem uns kaum etwas in den übrig gebliebenen römischen Quellen erzählt wird. Beteiligt daran waren der Überlieferung nach auch wieder die Cherusker, wobei es dort unterschiedliche Fraktionen gab.

Tiberius konnte den Aufstand schliesslich mit einer gross angelegten Zangenoperation niederwerfen, bei der er auch die Cherusker über Land und Seeweg in die Zange nahm: Seine Fusstruppen und die classis germanica konnte er wiederum am Elbeknie vereinigen. Eine kontrovers diskutierte Besonderheit in diesem Zusammenhang ist, dass Tiberius für seine Truppen in der Gegend ein Winterlager einrichtete, da der Feldzug bis in den Dezember andauerte, über dessen Lokalisierung heftig gestritten wird.

Die lateinische Quelle Vell. 2,105,3 besagt, dass es in der Mitte Germaniens lag und zwar „ad caput juliae“. Diese Stelle wird etwas abenteuerlich meist als „an der Quelle der Lippe“ übersetzt, was wiederum aber eigentlich „ad fontes luppiae“ heißen müsste. Die Übersetzung wäre richtig „an der Mündung der Julia“. Bei den übrig gebliebenen Texten handelt es sich jedoch um Abschriften, die Abschreibfehler (luppiae-juliae) haben können und das Wort caput (Kopf, Mündung) wurde manchmal von Schriftstellern auch für die Quelle verwendet. Da zur Zeit der Übersetzungen der lateinischen Schriften nur von einer römischen Präsenz bis zur Lippequelle ausgegangen wurde, setzte sich letztere Meinung durch.

Seit jüngerer Zeit kennen wir jedoch römische Ansiedlungen bzw. Lager aus dieser Zeit wie etwa Marktbreit, Waldgirmes oder sogar Hedemünden am Eingang zum Leinetal, also wirklich in der Mitte Germaniens. Aufgrund der vorangegangenen Truppenvereinigung des Tiberius an der Elbe und dem eventuellen Todeslager des Drusus in scelerata/Schellerten, könnte es sich bei caput juliae daher auch um die Leine-Innerste Mündung (julia-juliana-liana-Leine) bei Hildesheim handeln.

Die kürzeste gangbare Verbindung zwischen Rhein und Elbe (rote West-Ost Verbindung) verläuft die Lippe entlang, quert den Teutoburgerwald, dann durch das Emmertal nach Hameln, Hildesheim und durch das Bodetal zum Elbeknie bei Magdeburg. Die Kopflager (rote Kreise) waren bei Castra Vetera I (CVI), Anreppen (AN) bei Paderborn, Hildesheim (Hh) und Magdeburg (MD). Diese drei Teilstrecken hatten jeweils in der etwa halben Wegstrecke wichtige Zwischenlager, nämlich Haltern (HL), Lügde/Bad Pyrmont (LBP) und Oschersleben (OL). Auf diesen sechs Teilstrecken gab es dann weitere Lager, die aber vermutlich häufiger wechselten und nicht immer so lange Standzeiten hatten.

Von Süden kam die Südwest-Ost-Verbindung (violette Strecke) über das Gebiet der Chatten, ausgehend von Mainz. Das bekannteste Lager auf dieser Strecke ist Hedemünden (HM) das bereits in der Drusus Zeit angelegt wurde. Zudem gab es einige Nebenstrecken (dünn violett) die die beiden Hauptrouten verbanden. Der Schlachtort Kalkriese (ganz oben), und Endpunkt der viertägigen Varusschlacht (9 n.Chr.), liegt beachtliche 86 km Luftlinie von der Hauptroute entfernt. Das violette Kreuz bezeichnet die Schlacht am Harzhorn (SAH), die im Jahre 233 n.Vhr. stattfand. Zu dieser Zeit waren die auf dem ehemals cheruskischen Gebiet neu entstanden Franken bereits eine Gefahr für die Provinz Gallien, und der Feldzug sollte den neuen Stamm unterwerfen. Was allerdings nicht gelang, denn 256 n.Chr fiel die Colonia Agrippina (Köln) bereits dem Frankensturm zum Opfer.

 

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