V - Familienbande
Bei Tiberius' Sieg im immensum bellum haben ihm Teile der Cherusker geholfen. Die Einzelheiten sind nicht überliefert, am Ende des germanischen Debakels schälten sich jedenfalls zwei romfreundliche Fürstensippen heraus die nunmehr von den Römern besonders hofiert wurden: Die Sippen des Sigimer (die erstmalige Erwähnung ist durch Vellius Paterculus 2,118,2 überliefert: "...nomine Arminius, Sigimeri principis gentis eius filius..."; auch manchmal Segimer, Sigmund, Segimundus oder Segimund je nach Autor) und des Segestes.
Segestes hatte einen Sohn Segimund sowie eine Tochter Thusnelda. Auch hatte er einen Bruder der Segimer hiess, der hatte einen Sohn Namens Sesithank. Der Sigimer aber hatte zwei Söhne, von denen uns Tacitus leider nur die römischen Spitznamen überliefert hat, nämlich Arminius und Flavus.
Beide dienten als Offiziere für Rom. Während der Rang des Flavus („der Blonde“) vermutlich der eines Centurio (Kompaniefeldwebel) war, hatte der ältere Arminius den weit höheren Offiziersrang eines römischen Ritters inne. Mit „..das Feuer seines Geistes verriet sich schon im Blick seiner Augen...“ beschreibt Vell. 2,118,2 den erstgeborenen Arminius. Auch der Segestessohn Segimund hatte ein wichtiges römisches Amt inne: er wurde als Oberster Priester an den wichtigen Altar der Ubier (Köln) eingesetzt.
Zwar kamen die Fürstenkinder im Rahmen der Klientel- und Geiselpolitik sicherlich grosszügig an ihre feinen Posten, den ganz besonderen Rang eines Ritters kann sich Arminius aber nur durch ausserordentliche soldatische Leistungen errungen haben. Wo und wie ist genauso umstritten wie die Herkunft seines Namens. In Frage kommt für die militärische Bewährung eigentlich nur der immensum bellum von 1-4 n.Chr. oder der pannonische Konflikt 6-9 n.Chr. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit für ersteren größer, da ab 7 n.Chr. Varus Legat für Germanien wurde und Arminius als sein Tischgenosse überliefert ist. Er gehörte also zum engsten Kreis der Varusvertrauten und das wurde er sicher nicht einfach von Heute auf Morgen.
Arminius?
In den Sippen des Sigimer und Segestes waren der Sig-/Seg-Stamm für die Namensgebung, insbesondere der erstgeborenen Söhne, üblich. Sicher anzunehmen ist deshalb das gerade der Name des ältesten Sohnes des Sigimer auch mit Sig-/Seg- anfing; etwa Sigfryd, Seyfried, Sigurd o.ä.? Oder war der Arminiusvater mit Namen Sigimer dem Clan des Segestes, dessen Sohn ja nun Segimund hieß so verbunden, dass man die Söhne über Kreuz benannte? Dann müsste der unbekannte germanische Namen des Arminius also etwa Sigest oder Segest geheißen haben. Möglich auch, das er z.B. Sigfryd Irmin, der „starke Siegfried“ genannte wurde.
Wenn man den Namen Arminius als römisches cognomen oder nomen gentile verstehen will, was wegen seines hochrangigen Ritterstandes nahe liegend wäre, so ergibt sich die Schwierigkeit woher dieser kommen sollte. Der Zeit des Augustus entsprechend hätte der nomen gentile eher Julius heissen müssen und eine passende römische Adoptivfamilie Arminius ist nicht bekannt. Vorgeschlagen wurde daher auch der cognomen „Armenier“ wobei man eine Bewährung in südöstlichen Kampfgebieten der Römer annimmt, was aber auch mangels zeitlich passenden Kriegen nicht geht und ausserdem hätte er dann Armenicus heissen müssen. Oder es könnte sich um den Wortstamm „der Bewaffnete“ handeln, dann müsste er aber Armatus heißen. Dagegen wäre die römische Verballhornung des germanischen Artikels Irmin (->armin->arminius) für groß, stark, mächtig, fürstlich, schon wahrscheinlicher.
Thusnelda und Thumelicus?
Auch sind die Namen der Thusnelda und des Thumelicus, der Ehefrau und des gemeinsamen Sohnes, nicht unbedingt deren germanische Namen.
Der Wortstamm Tu-/Thu-/Thus- kommt schon bei Caesars Kampf gegen die Tulingi vor, mit denen er es in der Gegend von Basel zu tun bekam. Dieser Stamm kam von Norden, aus der Gegend des späteren Thüringens. Aus dem Stamm thu- wurde dann auch thusk, thiusk, teutsch, deutsch. Einen weiteren Hinweis auf die Ortsbedeutung des Thu-/Tu- gibt der antike Geograph Ptolemäus: in seiner um 150 n.Chr. erstellten Weltkarte führt er zwei Orte mitten in cheruskischem Gebiet an, nämlich Tuliphurdum und Tulisurgium. Der Wortstamm taucht dort auch heute noch auf, so z.B. am Thüster Berg nahe Hildesheim. Dabei sollte man insbesondere berücksichtigen, dass die Namen der Arminius Gattin und des Sohnes von Tacitus gar nicht überliefert wurden, sondern nur vom Griechen Strabon in den 20er Jahren nach Christus. Und Starbon war genauso wie Ptolemäus ein römischer Geograph, wodurch sich die Voranstellung der Ortsbezeichnung Thu- zwanglos erklärt. Es handelt sich sicher nicht um die originalen germanische Namen!
Die beiden Namen Thus-nelda und Thu-melicus sind daher vermutlich römische Zusammensetzungen. So sind Nelda und Neldus heute noch gebräuchliche Namen im spanischen und englischen Sprachraum. Der zugrunde liegende Namensstamm Nel- taucht aber auch in Nell, Nele, Cornelia oder in (N)Eleanor auf; letztere wird von Namenskundigen auch mit „die Davongelaufene“ gedeutet.
Lat. melicus bedeutet meist "musikalisch, der Musikalische", es kommt aber von mel für Honig. So hieß der Grieche Simonides von Keos (557-467 v. Chr.), ein beliebter Dichter, wegen seiner eindrucksvollen Bildsprache bei den Römern Melicus, der "Honigzüngige". Thumelicus wäre demnach etwa mit der "honigsüße Knabe aus Germanien" zu übersetzen: in Italien eine nachvollziehbare Benennung für einen kleinen, süssen, honigfarbenen Blondschopf aus dem hohen Norden.
Somit sind diese Namen mit einiger Wahrscheinlichkeit römische Spott- oder Spitznamen, wobei jeweils über die Herkunft Tu- sowie über die Person selbst, -nelda, -melicus, etwas ausgesagt wird. Sinngemäss also etwa „die davongelaufene Deutsche“ und ihr kleiner Sohn vielleicht „der süsse Deutsche". Vergleichbar römischen Spitznamen wie für den Bruder Flavus „der Blonde“, wegen seines blonden Haares, und dessen Sohn Italicus „der Italiener“, da dieser dort aufwuchs.
Möglicherweise liegt aber sogar ein Namensirrtum im Falle von Thusnelda vor. Einer der wichtigsten Skandinavisten des 19. Jhdt, Gudbrandur Vigfusson, befasste sich detailliert mit der möglichen historischen Identität von Arminius mit dem Sigurd der Edda. Insbesondere zeigte er, dass sich aus dem Studium der ältesten erhaltenen Originalabschrift an Stelle der Silbe -Nelda sogar die ursprüngliche Silbe -Hilda befunden haben dürfte. Womit wir unmittelbar auf eine spätere Kriem-hilde geführt werden.
Chattenbande
Interessant ist an dem noch bekannten Stammbaum der beiden Cheruskersippen, dass es eine erkennbare Heiratspolitik mit den benachbarten Chatten gab. So war Sesithank, der Sohn des Segestesbruder Segimer, mit der Chattin Rhamis und Schwiegervater Ukromer verbandelt, der Segimersohn und Arminiusbruder Flavus mit der Tochter des Chatten Aktumer verheiratet.
Die Chatten waren zu dieser Zeit mit den Cheruskern tief verbunden, so dass sich die römischen Legionen bei jedem Feldzug gegen die Cherusker gezwungen sahen, zunächst die Chatten von der Wetterau her im Süden zu attackieren, um sie von ihrer Waffenhilfe für die Cherusker im Norden abzuhalten.
Vermutlich war daher auch Thusnelda einem Chatten versprochen. Möglich das es sich bei dem Heiratskandidaten um den von Tacitus benannten Chatten (H)Adgandestrus handelte, der einige Jahre später in Rom um Gift zur Tötung des Arminius nachfragte. Sie jedoch lief davon und die unerlaubte Liebe zu Arminius durchkreuzte hier empfindlich die politischen Absichten ihres Vaters Segestes und verprellte die gute Nachbarschaft. Die ehemals befreundeten Chatten waren es dann auch, die nach Arminius Tod die Cherusker endgültig vernichteten.
Stammbaum der Cherusker Anfang des 1. Jhd. (Bildquelle: Wikipedia, C. Furkert). Alle germanischen Namen sind bis auf leichte Romanisierungen, wie z.B. Segimer=Segimerus korrekt überliefert, durch Tacitus und Strabon. Dies sind die Chatten Aktumer, Ukromer, Rhamis und im weiteren Hadgan sowie die Cherusker Inguiomer, Segimer, Segest, Segimund und Sesithank.
Arminus und sein direktes Umfeld dagegen, so sein Bruder Flavus, Neffe Italicus, Frau Thusnelda und Sohn Thumelicus sind alle nur mit einem Spitznamen benannt. Sollten aus römischer Sicht die Namen des verfluchten Verräters und seiner möglichen Thronfolger entehrt werden indem man diese nicht mit ihren korrekten germanischen Eigennamen bezeichnete?