VIII - Varusschlacht

Nun, im Jahre 9 kam es zum Desaster für Rom. Varus unternahm einen, von den Quellen so genannten Sommerfeldzug, auf dem auch Frauen, Kinder und ein stattlicher Sklaventross mitgeführt wurde. Militärisch flankiert wurde dieser Zug von der XVII, XIIX und XIX Legion sowie zusätzlich noch weiteren Hilfstruppen und Kavallerieeinheiten. Alles in allem dürften rund 30.000 Menschen unterwegs gewesen sein mit tausenden von Wagen und Karren, ein Zug der auf seiner Wanderung auf schmalen Strassen leicht eine Länge von 30 km oder mehr erreichen konnte.

Der genaue Zweck und die notwendige gewaltige Logistik dieses Zuges erschliessen sich nur indirekt aus den dürftigen Quellen. Klar ist, dass es kein Feldzug im engeren Sinne war, es wurde Gericht gehalten und es sollte den Germanen die Vorzüge römischer Verwaltung, Handel und Kultur beigebracht werden. Und er diente sicherlich der Steuererhebung. Unklar ob solch ein Sommerfeldzug auch schon in 7 und 8 abgehalten wurde oder nur in 9, unsicher auch wo sich die zweifellos grossen Marsch- und Standlager des Zuges befanden.

Zu vermuten ist nach den Quellen, dass Varus mit seinem Anhang ein Sommerlager bezog, auf dem Hof und Gericht gehalten wurde, seine Grösse müsste rund einen Quadratkilometer betragen haben. Sofern es nicht neuzeitlich vollständig überbaut wurde wäre es eigentlich eine leichte Beute für die Archäologie.

Vermutet wurde die Stelle ursprünglich von Mommsen (1885) bei der Porta Westfalica/Minden, oder aber durch andere auch in Anreppen/Paderborn, bei Hameln, Höxter oder Hildesheim. Der kürzlich verstorbene Heimatforscher Bökemeier vermutete es zuletzt bei Lügde/Bad Pyrmont, was er insbesondere durch Luftaufnahmen und Kleinfunde zu stützen suchte. Archäologisch sicher nachgewiesen werden konnte es bislang aber nirgendwo, womit die aus anderen Gründen wenig wahrscheinliche Ansicht, das gar keines existierte, zu stützen wäre. Letztere Ansicht würde aber bedeuten, dass Varus seinen gewaltigen Zug weit verstreut hätte, so dass die römischen Bürger und Soldaten kaum effektiv vor den notorisch raublustigen germanischen Gefolgschaften zu schützen gewesen wäre und der weitere Ablauf der Varusschlacht mit der so vollständigen Vernichtung nicht schlüssig erklärt werden kann.

Denn was nun passierte, hängt daran dass Arminius den riesigen Sommerzug, behindert durch das Mitführen des schon erwähnten Trosses mit Frauen, Kindern und Sklaven, bei seinem herbstlichen Abmarsch aus dem Lager auf einen Umweg lockte. Arminius suggerierte dem Varus, dass es gelte einen Aufstand eines "entfernten Stammes" niederzuschlagen. Was immer er genau dem Varus erzählt hat, der muss es für so extrem wichtig gehalten haben, dass er trotz des riesigen Klotzes am Beine los zog. Zudem vertraute er seinem Ritter und Tischgenossen Arminius unbedingt, denn selbst die Anzeige der Verschwörung durch den eifersüchtigen Cheruskerfürsten Segestes fruchtete bei Varus kein bisschen.

Also zog er ins Verderben. Arminius setzte sich mit seinen treu ergebenen germanischen Hilfstruppen von Varus ab, mit der Behauptung weitere Hilfsverbände mobilisieren zu wollen. Tatsächlich aber brachte er sich nur in Stellung um eine vorbereitete Falle zuschnappen zu lassen. Als der Sommerzug sich auf schmalen germanischen Heerstrassen umgeben von Wäldern bewegte, wurde er unweigerlich extrem in die Länge gezogen und war ein vergleichbar leichtes Angriffsziel. Römische Truppen brauchten viel Platz für ihre taktische Aufstellung einzunehmen und ihre optimale Stärke zu erreichen, was ihnen in diesem Gelände nicht gelingen konnte.

Es begann ein Kampf in Guerillamanier über weite Strecken, der erst am vierten Tag sein endgültiges Ende am Kalkrieser Berg bei Osnabrück fand. Als die militärische Situation aussichtslos geworden war, nahmen sich Varus und andere Offiziere selbst das Leben, viele Beteiligte gerieten in Gefangenschaft, wurden getötet oder versklavt, etliche desertierten aber auch schon vorher.

Exkurs Kalkriese

Wie kam man auf Kalkriese als den Ort der Varusschlacht? Der mögliche Ort der Schlacht wurde spätestens seit der Wiederentdeckung der taciteischen Schriften heiss diskutiert.

Schliesslich hatte der Historiker und Nobelpreisträger Mommsen in den 1880er Jahren eine geniale und einfache Idee um unter den Hunderten von unentscheidbaren Theorien einen nachvollziehbaren Kandidaten zu finden. Zweifellos sollte der reiche Sommerzug Fundmünzen in grosser Zahl hinterlassen haben. Nun liess Mommsen von seinen Mitarbeitern sämtliche Zufallsfunde von Münzen katalogisieren, deren Enddatum vor 9 n.Chr. lag.

Dabei zeigte sich dann überraschender Weise ein ausgesprochener „hot spot“ am Engpass vor dem Kalkrieser Berg wenige Kilometer nördlich von Osnabrück: Hier fanden sich rund 200 Streufunde solcher Münzen, fast nur Gold- und Silbermünzen, während sonst im Weserbergland nur hier und da einmal einzelne Münzen auftauchten. Nahe liegend daher die Annahme, dass hier auch der Ort der Varusschlacht zu suchen ist.

Nahe liegend auch folgerte Mommsen, dass dann das Sommerlager etwa bei Minden an der Porta Westfalica gelegen haben müsste, da der westöstlich entlang dem Wiehengebirge verlaufende Heerweg vor dem Sandforde genau dorthin an die Weser führt. Gerade aber die auffallende Menge an hochwertigen Münzen ließ die These dann doch in die Kritik der Zeitgenossen geraten, denn es wurde argumentiert, es fehle das Soldatengeld, nämlich die Kupfermünzen und auch andere Militaria. Insbesondere die aussergewöhnlich hohe Anzahl von augusteschen Goldmünzen, europaweit einzigartig, ist auffällig: Sie waren auf Grund ihres Wertes von ein bis zwei Monatsgehältern pro Stück für den Zahlungsverkehr unter den Soldaten völlig ungeeignet.

So geriet Mommsens Arbeit wieder in Vergessenheit und die Reihe der Theorien zum Ort vermehrten sich jährlich weiter um einige mehr oder weniger logische Exemplare, schliesslich waren es mehr als 700 erfolglose Lokalisierungsversuche. Hundert Jahre später in 1987 war es der englische Major Tony Clunn, ein Freizeitmilitärhistoriker und Sondengänger, der der Mommsenthese erneut nachging. Mit seinem ausserordentlichen Gespür für militärische Feinheiten gelangen ihm bald schon Neufunde an Münzen und auch das erste Militaria: drei Schleuderbleie wie sie römische Truppen verwendeten.

Nun konnte er den Archäologieprofessor Schlüter aus Osnabrück auch wieder für die Mommsenthese interessieren und die professionelle Ausgrabung des Kalkrieser Schlachtfeldes begann in den folgenden Jahren. Die Folge war ein inzwischen riesiger Berg von Funden aller Art, Münzen, Militaria, Zivilteile, Skelette und Bewehrungsanlagen. Von den inzwischen rund 2000 Münzen datiert die Schlussmünze auf das Jahr 4 n.Chr., wobei Münzen die mit dem Kürzel VAR gegen gestempelt wurden nur aus den Jahren 7 bis 9 n.Chr. stammen können. Aufgrund der überwältigender Funde und Befunde wird in Fachkreisen die Lokalisierung der Varusschlacht in Kalkriese praktisch nicht mehr angezweifelt. Trotzdem werden von verschiedenen Autoren, auch im Hinblick auf das kommende Jubiläumsjahr, weiterhin Alternativtheorien vorgeschlagen. Diese Theorien zielen alle darauf, die Befunde von Kalkriese in irgendeiner Form umzudeuten oder gar zu diskreditieren.

Ohne hier in der Kürze auf die Vielzahl der vorgetragenen Argumente pro und contra eingehen zu können, so lässt sich aber feststellen: Wer immer einen anderen Ort für die Varusschlacht präferiert, der muss schlüssig erläutern können, warum in Kalkriese riesige Mengen an passenden Funden und Befunden vorliegen und warum anderswo nichts oder fast nichts vorliegt, bzw. wo sein Alternativort ist und warum er dort nichts oder nur ganz wenig passendes finden kann und wie er dann zugleich noch die Funde von Kalkriese sinnvoll umzudeuten gedenkt.

Nach wissenschaftlichen Kriterien ist Kalkriese wenigstens der wichtigste Ort der Varusschlacht, sicher der Endpunkt des viertägigen Desasters. Sicher ist andererseits aber auch: Es kann unmöglich der einzige Ort der mehrtägigen Auseinandersetzungen gewesen sein. Das Schlachtgeschehen hat sich über einen deutlich größeren Bereich verteilt, allein schon aufgrund der enormen räumlichen Ausdehnung und Bewegungen des Zuges. Die Schlacht muss, und sie hat, auch an anderen Stellen ihre Spuren hinterlassen. Man muss nur genau hinschauen. Viel interessanter und wichtiger als publizistisches Getöse um Kalkriese ist nunmehr die historisch-archäologische Klärung der Frage:

Wie kam Varus nach Kalkriese?

Dieser speziellen Detailfrage bin ich in den vergangenen Jahren intensiv nachgegangen. In 2006 konnte ich dazu eine Reihe interessanter Entdeckungen machen. Mein nächstes Buch wird sich daher ausführlich mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Detailfrage beschäftigen.

Panorama des Schlachtfeldes heute. Die Bodenplatten markieren den ungefähren Weg der bereits erschöpften Legionen während des Endkampfes zwischen Berg und Moor. Am Engpass des Kalkrieser Berges fand mit Sicherheit ein Teil der Varusschlacht statt. Aber es kann nicht die einzige Stelle gewesen sein, dafür war der Zug viel zu stark und räumlich ausgedehnt. Es gibt noch einige Rätsel zu lösen.

 

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