XV - Nachruhm und Nachwelt

Tacitus, der seine Annalen etwa um die Jahre 100 bis 110 schrieb, berichtet uns davon das die Cherusker nur noch aus wenigen elenden Haufen bestünden. Arminius jedoch der würde, drei Generationen nach seinem frühen Tod durch Verwandtenmord, immer noch in ihren Liedern besungen.

Die Stammesverwerfungen in Mitteldeutschland Ende des ersten Jahrhunderts waren mit ursächlich für die Bildung neuer Stammesbünde, so der Sachsen und Franken, wobei besonders letztere wenig später zum Kernstück deutscher Geschichte werden sollten, während erstere mit der Besiedlung des Nordens und Britanniens in Verbindung stehen. Diese werden etwa ab 200 quellenmässig fassbar, um 250 werden die francii von römischen Quellen als räuberischer Stamm erwähnt, der bereits in Gallien mit ihren massiven Einfällen für Probleme sorgte.

Die Franken trieben die einsetzende Völkerwanderung mit an und wurden gegen Ende dieser Umwälzung zur führenden germanischen Nation unter dem Merowinger Chlodwig I (466-511) und bestimmten für viele der folgenden Jahrhunderte maßgeblich die Geschicke Europas. Aus ihnen bildete sich das heutige Frankreich und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das offiziell erst 1806 endete und aus dem Deutschland als Nation letztlich entstand.

Erst unter dem Franken, aus dem Geschlecht der Karolinger, Karl dem Großen (742-814) wurde in Germanien eine Verschriftlichung eingeführt. Karl lies nach dem Ende des siegreichen Krieges gegen die konkurrierenden Sachsen alle alten Sagen sammeln und aufschreiben, ein Schatz der kurze Zeit später verloren ging: Sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme (778-840) lies diese unsagbare wichtigen Schriften in christlichem Wahn vernichten, schließlich handelte es sich ja um heidnisches Kulturgut. Ob es der lieben Seele gut getan hat darf man bezweifeln, für die historische Forschung jedenfalls war es eine Katastrophe.

Von Arminius Leben wissen wir aus römischen Quellen nur wenig und jeweils aus betont römischer Sicht gesehen. Germanische Literatur selbst gab es erst sehr viel später; zwar verwendeten auch Germanen Schriftzeichen, die Runen, jedoch nicht um größere Texte zu verfassen sondern meist nur für kultische Handlungen.

Geschichten, Traditionen, Mythos, sie wurden durch Lieder weitergegeben. In Verse gefasst hatten sie eine gewisse Festigkeit gegen Veränderungen und Aktualisierungen die solchen mündlichen Tradierungen immanent sind. Gegen Ende der Völkerwanderungszeit  im 6.Jhd. dürfte die Sagenentwicklung der Franken dann einen weitgehend verfestigten Stand erreicht haben, die alten und neuen Geschichten konnten einen Traditionskern bilden, den wir weitere siebenhundert Jahre später in einer bekannten deutschen Verschriftlichung wieder finden: Dem Nibelungenlied.

Dieses Lied und seine Vorgängerlieder enthalten diesen Traditionskern, der seinen Anfang in der ruhmreich traurigen Geschichte des Siegfried-Arminius und seiner Cherusker, dem Hirschvolk, nahm. Auffallend auch die philologische Verwandtschaft des Nibelungenliedes mit der skandinavischen Edda und dem britischen Beowulf deren gemeinsame Wurzeln hier zu suchen sind.

Erste Seite der Handschrift C des Nibelungenlieds um 1220-1250 (Bildquelle: Wikipedia)

Uns ist in alten mären  wunders vil geseit

von helden lobebären,  von grozer arebeit,

von freuden, hochgeziten,  von weinen und von klagen,

von küener recken striten,  muget ir nu wunder hören sagen.

Stammen diese "alten mären" (alte Märchen) ursprünglich noch aus frühantiker Zeit? Viele Historker meinen ja.

 

Die für Rom so verheerende Varusschlacht bildet in der öffentlichen Wahrnehmung des römisch-germanischen Krieges das absolute Zentrum, an dem sich nicht zuletzt ein sehr zweifelhafter Gründungsmythos Deutschlands heftet.

Letztlich ist sie aber nur ein Höhepunkt des rund 30-jährigen Krieges gewesen. Und eine Nation aus dem Zusammenschluss unzähliger Stämme unter eine Zentralgewalt konnte Arminius schliesslich auch nicht erreichen. Aber in der Tragik des Scheiterns, in Aufstieg und Fall einer ganz ungewöhnlichen Persönlichkeit steckt durchaus der Stoff aus dem sich eine typisch deutsche Seele formen würde. Die Varusschlacht war Ausgangspunkt einer ad hoc unabsehbaren Entwicklung, die die politische Welt bis heute mitbestimmt.

So blieb die bereits in Angriff genommene Romanisierung Germaniens zwischen Rhein und Elbe aus, kulturelle Unterscheide für die kommenden Jahrhunderte manifestierten sich damit, die für eine bis heute anhaltende Differenzierung in Europa sorgen: Östlich des Rheines die Deutschen und Slawen, westlich und südlich des Rheines die romanischen Kulturen Frankreichs, Italiens und der Iberischen Halbinsel. Die Germanen waren es am Ende dann auch, die das marode Römische Reich endlich übernahmen; die sich auch als rechtmässige Nachfolger betrachteten und sich regelmässig zum römischen Kaiser krönten. Germanen eroberten ab dem 5. Jhd. auch das von Rom verlassene Britannien und vertrieben teilweise die dort ansässigen Kelten über den Kanal ins romanische Frankreich, die Bretagne.

(Bild: Capitol in Washington, USA. Quelle: Wikipedia, user: cacophony)

Man kann den Bogen noch weiter spannen, das germanisch/normannische Britische Weltreich kolonisierte Nordamerika, das neue Rom entstand in Washington: Senat und Capitol, nicht nur die Wahl der Worte, die politische Konstruktion und das machtpolitische Handeln, auch die Gebäude verweisen stolz auf das römische Erbe: In kaum einem anderem Land finden sich so viele klassizistische Gebäude wie in den USA.

Augustus hätte es kaum besser machen können, er würde sich gleich zu Hause fühlen. Nur die germanische Sprache würde ihn ärgern. Aber schließlich hatte er es ja immer schon geahnt.

 

 

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