Das Bildnis des Arminius, III / IIX

Seite 3: Verifizierung: “The elephant that no one does see...“


Es ist sehr wahrscheinlich, dass erst mit der Schändung des Grabes das alte Trauma Arminius für Rom und seine Öffentlichkeit seinen befriedigenden Abschluss fand. Zumal dieser letzte Akt des Germanien-Traumas nun in 182 endlich einen erfolgreichen Ausgang fand, zumindest nach offizieller Lesart Roms. Denn der römische Kaiser und Feldherr Marc Aurel war endlich im Jahre 180 im Feldlager an der Donau einer Pestilenz erlegen. Sein unmittelbarer Nachfolger Commodus erklärte den Krieg im Jahre 182, nach dem er gegen den Rat seiner Generäle Friedensverträge mit den Germanen geschlossen hatte, kurzerhand als für siegreich beendet.

Wir haben also vermutlich ein Bildnis des Arminius aus eigener Auftragsarbeit vor uns. Was aber können wir, wie im Falle Vercingetorix, bezüglich einer Darstellung des Arminius in der römischen bildlichen Erzählung, wie sie regelmäßig stattfand, sagen? Das Drama war gewaltig, das Arminius unter den Römern von 9 bis 16 anrichtete, erst der hinterhältigem Hochverrat an seinem Legaten Varus, mit zehntausenden toter Legionäre, zwei vernichtend geschlagene Armeen, sowohl die des Varus als auch die des Germanicus; dann der nachhaltig zerstörte Traum der Nordosterweiterung und der Weltherrschaft, was ein unsäglich tiefer Einschnitt in das augusteisch-römische Selbstverständnis war. Rom wurde besiegt von Barbaren, ein Trauma das nur in etwa zu vergleichen ist mit der Niederlage der USA in Vietnam, als diese gegen vergleichsweise primitiv bewaffnete, aber ungeheuer zähe, Kommunisten verlor. Des Erzählens wert war aber auch das persönlich grausame Schicksal des Barbarenfürsten, sein Ringen um Frau und Kind, der Verrat seines eigenen Schwiegervaters an ihm, und schließlich sogar der Meuchelmord nach erfolgreicher Intrige, eingebettet in dem germanischen Bruderkampf gegen Marbod, bei dem sich am Ende beide germanischen Reiche gegenseitig eliminierten.

Ganz sicher wurde diese Geschichte erzählt, in allen erdenklichen Variationen, ganz sicher auch verarbeitet in Literatur, Theater und Kunst. Der über 30-jährige Krieg hatte auch mindestens 50.000 Römern das Leben gekostet, und damit kannte eine jede römische Familie wenigstens einen Toten in ihren Reihen aus diesem glücklosen militärischen Abenteuer. Daher hatte man ein großes Bedürfnis, und auch ein Recht darauf, erzählt zu bekommen wie das alles geschehen konnte und wem man das alles zu „verdanken“ hatte. Arminius war für die Öffentlichkeit in Rom in dieser Zeit auch nicht irgendein Germane, sondern die unmittelbare Verkörperung des nördlichen Barbaren schlechthin. Er war der Archetyp des Germanen, vor dem man zwar Angst hatte und gegen den man tiefgründigen Abscheu hegte, aber ihm dennoch heimlichen Respekt und Bewunderung zollte, was die Schriften des Tacitus deutlich durchblicken lassen.

Antike Literatur der Zeit ist in mehr als 99,9% aller Fälle verrottet, verbrannt und vergammelt, nur der Tacitus blieb uns glücklicherweise bis in die Neuzeit in einigen größeren Teilen erhalten. An gemeißeltem Stein dagegen hat die Zeit nicht im selben Maße genagt, dafür aber enthalten die verbliebenen Reste keine genaueren Angaben darüber wer oder was da dargestellt wurde. Selbst bedeutende Statuen sind oft nicht näher bezeichnet, die Zuordnung ist in diesen Fällen heute meist nur aus dem weiterem Fundzusammenhang und Quervergleichen mit anderen Darstellungen der gleichen Person zu ermitteln. Dem Zeitgenossen dagegen war immer klar wer und was dargestellt wurde. Denn es war Tages-, ja Jahresgespräch, und bedurfte keiner umfangreichen Schriftlichkeit.

Auch Arminius und seine Frau und Kind, deren Namen außer in einer kurzen Notiz des griechischen Geographen Strabon nirgendwo überliefert sind, dieser bezeichnete sie mit „Thusnelda“ und „Thumelicus“, und auch von diesen Beiden dürften sicher Bildnisse angefertigt worden sein.

So wurden in der Vergangenheit auch schon einige Kunstwerke für diese Personen gehalten, wobei der Wahrheitsgehalt solcher Vermutungen allerdings wegen fehlender verifizierbarer Quervergleiche immer sehr fraglich bleibt.

Auffallend bei vielen Germanendarstellungen der Zeit ist übrigens auch, dass diese sich oft gleichen wie ein Ei dem anderen. Immer wieder der gleiche Archetyp mit Hemd, Hose und unverkennbarem Rauschebart, an dem der Legionär in seiner Not auch mal kräftig ziehen konnte. Man fragt sich manchmal, ob es sich dabei immer um den gleichen oder doch um denselben Typ handelte?

Als Vergleich der Moderne mag man Osama Bin Laden heran ziehen, jenen Islamisten der die Weltmacht USA heraus forderte und tief demütigte. Dem man zwei Kriege und ein Jahrzehnt nach jagte, um ihn denn endlich zu eliminieren, ja zu vernichten. Und danach seine durch Kopfschüsse völlig verstümmelte Leiche an einem geheim gehaltenen Ort, unerreichbar für immer, mehrere tausend Meter tief im Ozean versenkte. Selbst der tote Osama schien die Weltmacht USA noch genug zu ängstigten, um vor dem Eindruck eines islamistischen Martyrergrabs Angst zu haben. Fragt man heute den durchschnittlichen US-Amerikaner, wie er sich einen Islamisten oder einen Taliban vorstellt, so wird man in 99% der Fälle ein Bildnis des Osama Bin Laden vor gehalten bekommen. Wobei, ganz nebenbei, Osama kein Taliban war. Taliban, Al Quaida, Afghanistan, Irak, wen schert's gegen wen oder was und warum man genau dort Krieg führte? War da nicht immer dieser islamistische Rauschebart mit Turban und Kaftan verantwortlich, der die Lower East Side von Manhattan in Schutt und Asche legte? Sei's drum, so genau braucht und will die Volksseele nicht alles wissen.

In der Folge des Markomannenkrieges sind uns nun aber zwei Kunstwerke von besonderer Bedeutung erhalten. Die Siegessäule des Marc Aurel und der Sarkophag eines, wieder einmal namentlich nicht bekannten, Generals aus diesem Krieg. Dieser wurde wenige Kilometer nördlich Roms auf dessen ehemaligen Landgut gefunden: der Sarkophag von Portonaccio. Beide bedeutende Steinmetzarbeiten stammen aus den Jahren um 180 bis um 190.

Beginnen wir mit dem größeren Bildnis: Die Säule des Marc Aurel ist knapp 30 Meter hoch bei einem Durchmesser von bis zu fast vier Metern. Darauf schlängelt sich ein gut 1,5 Meter breites Bildband von der Basis bis zum Kapitel, auf dem die ganze Geschichte des Markomannenkrieges erzählt wird. Gut 200 Meter bildhauerische Glanzleistung, das Kino der Antike in Stein gehauen, statt auf Zelluloid gebannt.

Wie immer ist die genaue historische Deutung der einzelnen Szenen schwierig bis unmöglich, denn eine zeitgenössische schriftliche und detaillierte Beschreibung des Dargestellten ist uns nicht erhalten, sofern sie überhaupt je existierte. Die realistischen Darstellungen der Kriegsereignisse, und auch Kriegsgräuel, sind aber nicht nur gut erkennbar, sondern rühren mit ihrer künstlerischen Ausdruckskraft auch den modernen Betrachter heute noch so wie damals.

Auf viele der dargestellten Szenen kann man sich leicht einen Reim machen, etwa Lagerbau der Legionäre, Schanzarbeiten, Kämpfe, usw.. Aber bei anderen Ereignissen ist der tiefere Zusammenhang bislang völlig unbekannt, zumal auch die erhaltenen Quellen zum Markomannenkrieg äußerst dürftig sind.

 

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