Das Bildnis des Arminius, VI / IIX

Seite 6 : Germanicus' letzte Schlacht

Der Sinn wird erst durch einen Rückgriff auf den ersten großen Germanenkrieg möglich. In 16 war auch der letzte großangelegte Feldzug des Germanicus grandios gescheitert. Dabei hatte er wirklich alles auf seine letzte Karte gegen Arminius gesetzt. Ein Heer von 70.000 Mann plus Ausrüstung wurden mit rund 1000 extra dafür gebauten Last- und Kampfschiffen über die Nordsee und die Flüsse hinunter bis zum Weserbergland geschafft, um die Cherusker endgültig auszulöschen. Die Kosten waren gigantisch gewesen, Gallien wurde regelrecht abgeholzt und so viele Tiere und Pferde requiriert das man sich bis nach Rom aufs heftigste beschwerte. Alles was an Ressourcen zu diesem Zeitpunkt noch zu mobilisieren war wurde in die letzte Schlacht des Sommers 16 geworfen.

Der Krieg stand ein letztes mal auf der Kippe, doch es nützte nichts. Die Umklammerung, Vernichtung oder Vertreibung der Cherusker misslang. Die Opfer müssen gewaltig gewesen sein, auf der überhasteten Rückfahrt, die mehr eine Flucht als eine Fahrt war, ging die komplette 1000 Schiffe starke Flotte im Wattenmeer unter. Die Legionen und auch Feldherr Germanicus mussten sich per pedes, und dabei auf die freundliche Hilfe der Küstenbewohner angewiesen, mühsam nach Nijmwegen und Castra Vetera (Xanten) zurück schleichen. Nun, die Wahrheit ist heute wie damals das erste Opfer des Krieges, und so war es auch hier. Germanicus, bis dahin noch ernsthafter Konkurrent des neuen Kaisers Tiberius, war geschlagen und bis auf die Knochen blamiert, aber das sollte nicht gleich auf das ganze Kaiserhaus abfärben. Der Untergang mit Pauken und Trompeten wurde daher offiziell zum Sieg hochstilisiert und Germanicus bekam für das Jahr 17 einen dem „Sieger“ zustehenden Triumph in Rom genehmigt. Zwei Jahre später starb er dennoch arg verfrüht unter mysteriösen Umständen im syrischen Exil, und angeblich hatte Tiberius bzw. sein Verwalter dort die schmutzigen Finger mit im Spiel.

Auf diesem Triumph jedenfalls führte er wie üblich eine ganze Riege von gefangenen Germanen und andere Kriegsbeute dem römischen Volke vor. Überliefert ist uns von diesem Zug durch Rom leider nur der Bericht eines griechischen Geographen, Strabon, der zufällig anwesend war und das Spektakel in wenigen Schriftzeilen beschrieb. Carl Theodor von Piloty hat diese von Strabon beschriebene Szene in ein bekanntes und sehr eindrucksvolles Gemälde umgesetzt. Die von Strabo benannten Personen sind darin zu sehen: neben dem Kaiser Tiberius und dem „Triumphator“ Germanicus, die Germanen Segestes, Deoderix, Sesithank, Rhamis, Thusnelda und Thumelicus.

Nun, die Situation war die, dass Germanicus sicherlich hunderte Gefangene mitführte, wo immer er sie auch requiriert hatte. Von seinem letzten Zug zu den Cheruskern stammten sie jedenfalls alle nicht. Offensichtlich aber besonders präsentiert wurden die „Gefangenen“ die seit dem Verrat des Segestes an seinem Schwiegersohn Arminius in römischem Exil waren, so neben Thusnelda und Thumelicus auch Sesithank und Rhamis, und natürlich auch der Vater und abgesetzter Cheruskischer Clanchef Segestes. Des weiteren erinnert sich Strabon noch an einen Deoderix, den er als einen „Marser“ beschreibt. Nun entstammt diese einzige Beschreibung des Triumphzuges, und insbesondere auch die einzige Erwähnung der Namen der Gattin und des Kindes des Arminius überhaupt, aus dieser inoffiziellen Feder des Griechen Strabon.

Daraus ergeben sich so einige Schwierigkeiten bei der historischen Interpretation der überlieferten Information. Denn was Strabon dort sah und kurze Zeit später notierte, das war genau das was alle anderen „Schlachtenbummler“ dort auch zu sehen bekamen. So waren die normalen germanischen Gefangenen natürlich nicht näher ausgezeichnet, man sah ihnen ihr Elend und ihre Herkunft ja so schon an. Anders bei den wirklich wichtigen fürstlich-germanischen Vorzeigestückchen: Hier liefen in der Regel Träger neben den Gefangenen einher und hielten Schilder in die Höhe, auf denen die Bezeichnung der Beute stand, um es dem Volke verständlich zu machen. Also hier in aller Regel die in die lateinische Schrift umgesetzten Anlautungen der germanischen Namen oder die Bezeichnungen, unter denen man diese Personen allgemein in Rom kannte.

Nun hatte das lateinische Alphabet aber schon zu wenig Buchstaben, um überhaupt alle lateinischen Worte zweifelsfrei mit Lauten zu belegen, geschweige denn das in ihren Ohren unverständliche Gebrabbel der Germanen. Und der Grieche Strabon setzte das gelesene nun wiederum um in griechische Buchstaben, für die es aber ebenfalls keine eins-zu-eins Abbildung auf das lateinische Alphabet gibt. Eine mangelhafte Umlautung des Gelesenen, und erst recht des germanischen Originals, ist bei dieser Prozedur völlig unvermeidlich. Hinzu kommen natürlich noch die möglichen Fehler bei den x-Abschriften des antiken Originaltextes bis hin zu dem Text, der in ziemlich schlecht lesbaren Zustand bis heute erhalten blieb.

So sieht auch der wichtigste Übersetzer der nordischen Saga's, Guthbrandur Vigfusson (1886), an dieser Stelle des Namens für Thus-nelda eher eine (Thus-) hilda. Für Thu-melicus lässt sich leicht Thu- (thuisk, deutsch) und melicus (der Honigsüße, Umschreibung für der Kleine Blonde) ansetzen. Wer mit dem Marser Deoderix gemeint war, ist rätselhaft, naheliegend wäre der ebenfalls ins Exil von Ravenna geflohene Thuisk-Rex und Markomanne Marbod, der hier leicht falsch transliteriert werden konnte. Der Triumphzug fand allerdings wohl schon Ende Mai 17 statt, und es ist daher zeitlich etwas knapp bezüglich der Flucht Marbods, die frühestens nach dem Sieg oder Teilsieg des Arminius in 17, wie er bei Tacitus beschrieben wurde, gelegen haben kann. Möglich aber wäre es, wenn die Dinge denn zügiger gelaufen wären, als man es nach den sehr schwammigen Aussagen von Tacitus bisher vermutet hat.


Rhamis und Sesithank sind dann aber wieder klar erkennbare Familienmitglieder der „Cherusker-Chatten-Connection“. Und die funktionierte so, dass aus machtpolitischen Gründen die Fürstensöhne und Töchter der Cherusker immer mit Chattenfürsten Kinder verheiratet wurden. Das lässt sich aus dem soweit bekannten Stammbaum, als auch aus der verbürgten gemeinsamen Waffenbrüderschaft der beiden großen Stämme gegen die Römer schließen. Die Frage steht aber nun im Raume: Warum waren ausgerechnet diese beiden Germanen, die sonst in der gesamten Geschichte keine nennenswerte Rolle spielten, ja für Tacitus noch nicht einmal erwähnenswert waren, nun so wichtig für Germanicus, für Rom und sein Volk, dass man sie in diesem frisierten Triumph-Spektakel an so exponierter Stelle mit Namensschild vorführen wollte? Warum liefen sie nicht unter den vielen hunderten namenlosen germanischen Gestalten ihren demütigenden Weg? Was machte sie so besonders, so bedeutend?

Der Grund dafür war vermutlich derselbe, weswegen Thusnelda und Thumelicus (obwohl beide wie auch Segestes unter dem freiwilligen Schutz des Germanicus standen) in dem elenden Zug mitlaufen mussten: Es ging um die öffentliche Demütigung des Arminius, der dem direkten Zugriff entzogen war. Und der ohnmächtige Zorn des abgehalfterten und blamierten Imperator Germanicus konnte nur Ruhe finden, indem er dem abwesenden Feind auf tiefster Ebene Demütigung aus der Ferne zufügte: Er führte Frau, Kind, Geliebte und Gehörnten des Arminius vor die grölende Meute.


Und das kam offensichtlich so zustande:


Der große Zorn des Segestes auf seinen unfreiwilligen Schwiegersohn rührte nämlich daher, dass Thusnelda bereits, wie üblich, einem Chattenfürsten versprochen war. Arminius durchbrach dieser Regel und beanspruchte Thusnelda gegen den erklärten Willen des Vaters. Soweit sind die Dinge überliefert. Der nun durch Arminius düpierte war aber natürlich nicht nur der Schwiegervater, sondern auch der um seine versprochene Braut gebrachte Chattenfürst. Sehr gut anzunehmen ist, dass es sich bei diesem Düpierten um den Chatten Hadgandestrus handelte, der sich nach Bericht des Tacitus beim römischen Senat später als Mörder andiente.

Weiterhin ist klar, das nach dieser Sitte auch dem Arminius längst eine Chattin zugesagt war, vermutlich schon von Kindesbeinen an. Sehr naheliegend wäre hier, das es sich bei dieser Chattin um genau die im Triumphzug vorgeführte Rhamis handelte. Sesithank wiederum, stammte aus dem konkurrierenden Clan der Brüder Segimer und Segestes, mit dessen Sohn Segimund er auf gleicher Stufe stand. Wollte Arminius nun aber Thusnelda heiraten, so musste er einerseits die ihm versprochene Chattin adäquat fürstlich versorgen, und andererseits einen Fürsprecher und Komplizen im Segestes/Segimer-Clan haben, um dort eine Änderung an der traditionell vorgesehenen Heiratsfolge zu erwirken. Hier hatte sich vermutlich Sesithank angeboten, der wiederum die Arminius Verlobte Rhamis begehrte, und der daher endlich in den später noch sehr verhängnisvollen schmierigen Männerdeal einwilligte.

Arminius stieß mit diesem Kavaliers-Akt natürlich seine komplette cheruskisch-chattische Umgebung vor den Kopf, auch sein eigener Clan und schon gar nicht Rhamis selbst, dürften mit diesem Handeln einverstanden gewesen sein. Dieses Liebes-Durcheinander das er da anrichtete, konnte er sich nur vor dem Hintergrund des Römerbezwingers leisten, eine unglaubliche Heldentat die bis dahin niemand für möglich gehalten hatte. Und wohl auch vor dem Hintergrund, dass er irgendwo die reiche Varusbeute versteckt hielt. Trotzdem kam es in den sechs Jahren nach der Varusschlacht zum endgültigen Eklat und Bruch mit Schwiegervater Segestes, als dieser den einzigen Ausweg seiner Ehrenrettung darin sah, den Germanicus zu Hilfe zu rufen und dem Römer seine von Arminius bereits schwangere Tochter auslieferte. Um sie damit endgültig dem Zugriff seines ungewollten und verhassten Schwiegersohns zu entziehen.

Nun aber können wir erst den seltsamen Sarkophag von Portonaccio besser verstehen. Das Pärchen auf der linken Seite sind Sesithank und Rhamis. Rhamis wendet sich von ihrem frustrierten Mann ab und strebt ihrer alten Liebe zu. Denn das zweite Pärchen rechts im Bild ist Thusnelda und Arminius im vertrauten Gespräch. Die Schlacht in der Mitte, die wohl des namenlosen Generals größte Leistung im Markomannenkrieg darstellt, drückt nun aus: „...seht her, ich bin der General gewesen, der die Dinge wieder in Ordnung brachte, und die alte Schmach Roms im heldenhaften Kampf tilgte“. Die so dominierenden Germanenpärchen sind nun nicht mehr Ausdruck einer unverständlichen Germanenhuldigung, sondern Ausdruck der alten Demütigung Arminius' durch die öffentliche Zurschaustellung seiner intimsten Lieben in feindlicher Gefangenschaft.

 

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